Agilität als Organisationsprinzip im Mittelstand

20. September 2017

Einleitung

Bei agilen Organisationen handelt es sich zumeist um flexible und schlanke, innovative und kundenorientierte, mitarbeiterkompetenz-orientierte, sich auf neue Technologien stützende Organisationen, die Marktentwicklungen frühzeitig erkennen und sich bei den Strukturen und Prozessen wie bei den Personen (quantitativ und qualitativ) und Kulturen schnell anpassen. Das Grundprinzip ist: Schnelles und richtiges Anpassen fördert das Überleben! (vgl. Fischer, 2016)

Für Organisationen ist Agilität eine wichtige Voraussetzung. Der Megatrend Agilität in der Organisationsentwicklung steht durchaus in Zusammenhang mit dem Megatrend Digitalisierung, auch als Industrie 4.0 bezeichnet. Die Digitalisierung beschleunigt die Veränderungen der Umweltbedingungen, so dass immer mehr Unternehmen gezwungen sind, sich schneller anzupassen. In modernen Organisationen gehört die Veränderungsfähigkeit daher zum Management-Inventar. Moderne Unternehmen haben die Grenzen traditioneller Organisationsprinzipien überwunden.

Sie nutzen die Leistungsentfaltung, das Wissen und die Fähigkeiten aller Mitarbeiter und schaffen Formen und Räume der Zusammenarbeit, in denen das ganzheitlich ermöglicht und Innovation gefördert wird.

Agile Organisationen setzen parallel zu agilen Methoden auf moderne Arbeitsformen, um schneller und besser als die Konkurrenz zu sein. Agile Methoden isoliert einzuführen, wird kaum den gewünschten Effekt bringen. Agile Methoden plus moderne Arbeitsformen können dagegen gemeinsam als Turbo für die Unternehmensentwicklung wirken. (vgl. Kotter 2011, 2014, 2016; Gairing 1999; Laloux 2015; Rotzinger 2015; Scholz 2016)

Für die Autoren dieses Berichts ist daher die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Organisationen zugleich auch die Frage nach dem Grad der Modernisierung der Arbeitsformen (der „Betriebssysteme“) der befragten Unternehmen. Die Erhebung soll Hinweise auf das Vorhandensein agiler Methoden und Prinzipien im Mittelstand liefern. Sie soll zusätzlich Aufschluss darüber geben, wie weit der Megatrend Agilität im Mittelstand angekommen ist und als Organisationsprinzip genutzt wird. Hierbei geht es den Autoren weniger um theoretisch-konzeptionelle Ansätze, sondern um die reale Situation aus der Perspektive der Praktiker. Es geht darum, Erkenntnisse zur Nutzeneinschätzung zu gewinnen und zu verstehen, welche Instrumente eingesetzt werden. Die Interviews der Geschäftsführungen und/oder Personalmanager von den 10 teilnehmenden Unternehmen im Rheinland und Ruhrgebiet wurden im Zeitraum Mai bis Juli 2017 von den Autoren persönlich durchgeführt.

Agilität wird als Unternehmensprinzip anerkannt, als Organisationsprinzip hat es sich bislang wenig etabliert

Agilität, als die Eigenschaft, flexibel und schnell auf Chancen und Risiken zu reagieren, wird in allen befragten Unternehmen angestrebt und als Erfolgsfaktor wahrgenommen. Agilität als Organisationsprinzip dagegen weniger. Die Mehrheit der befragten Unternehmen strebt an, die positiven Effekte im selektiven Einsatz von agilen Elementen und modernen Arbeitsformen zu nutzen.

Obwohl es bei den Haupttreibern für Veränderungen in den befragten Unternehmen um Digitalisierung, Innovationen, Technologischer Fortschritt und Neue Märkte geht, sind die angewendeten Instrumente zur Unternehmensentwicklung in Abhängigkeit von der Dynamik der Umwelt eher konservativ, traditionell und auf Schlüsselfiguren ausgerichtet. Nur wenige Unternehmen mit höheren Anforderungen an die Dynamik hinterfragen ihr Organisationsmodell teilweise oder vollumfänglich und wagen neue Ansätze im Organisationsdesign um agile Potenziale zu heben.

Agile Elemente wirken sich positiv auf Arbeitsweisen und eine gute Zusammenarbeit aus, positive Zusammenhänge zum Geschäftsergebnis werden nur untergeordnet festgestellt

Auffällig ist die Tatsache, dass bei der Nutzenbewertung agiler Elemente im Unternehmen mehrheitlich verbesserte Arbeitsweisen höher bewertet wurden, als die Verbesserung von Ergebnissen. Verbesserte Produktivität landete fast auf dem letzten Platz, s. Grafik.

Abb.: Nutzenbewertung implementierter agiler Elemente und moderner Arbeitsformen (Zustimmungswerte von 1 stimme nicht zu – 10 stimme voll zu)

Das ist aus der Sicht der Autoren besonders interessant. Agilität im eigentlichen Sinn sollte dazu führen, bessere Ergebnisse der Gesamtorganisation zu erzielen. Hier wird deutlich, dass Agilität isoliert in der Entwicklungsfunktion nicht automatisch zu Leistungsverbesserungen der Gesamtorganisation führt. Zwangsläufig sind die Teams kundennah und flexibel, aber die weiteren Organisationsparameter scheinen hemmend auf die agile Wertschöpfung zu wirken. Das zeigt nicht eingelöste Verbesserungspotenziale auf und sollte nachdenklich stimmen. Das gelungene Zusammenspiel der verschiedenen Dimensionen von Organisationen[1] macht die Unternehmen leistungsfähiger und produktiver.

Unternehmen investieren mit Priorität in die allgemeinen Softfacts, agile Elemente bleiben eher im Mittelfeld.

Bestleistungen, das Bewältigen von Veränderungen, Flexibilität und Innovationen können dauerhaft nur durch gutes, befähigtes und motiviertes Personal erreicht werden. So werden Eigenständigkeit und unternehmerisches Denken und Handeln sowie ein erhöhtes Empowerment als relevante Handlungsfelder eingeschätzt. Die Unternehmen investieren in die Entwicklung ihrer Soft Facts mehr, als in agile Methoden, obwohl agile Elemente und Prinzipien nach eigener Einschätzung zum Einsatz kommen sollen. Dafür scheinen die Haltung bzw. die Einstellung des Mitarbeiters zum Unternehmen und die Führungsqualität mehrheitlich herausragende Entwicklungsthemen des Betriebssystems zu sein. Allerdings ist Vorsicht ist geboten, wenn besonders befähigte und motivierte Mitarbeiter auf ein klassisches Betriebssystem stoßen. Ohne Veränderungen kann das früher oder später zu Demotivation, innerer Kündigung und Leistungseinbuße führen.

Es mangelt häufig an systematischer Organisationsentwicklung und Changemanagement

Übergreifend betrachtet kommen in der Strategieumsetzung die systematische Organisations-entwicklung und das Changemanagement häufig zu kurz. Was bei der Unternehmensausrichtung beginnt, muss sich in den Teams, bei den Prozessen und auch bei der Führung fortsetzen. Viele gut gemeinte Einzelinterventionen erreichen dadurch die in sie gesetzten Ziele nicht oder nicht nachhaltig. Die Fähigkeit, Organisationen zu entwickeln und Veränderungen zu gestalten, ist Sache des Managements und der HR-Funktion. Da Organisationsveränderungen immer mit Lernprozessen, Verhaltensänderungen und Personalveränderungen einhergehen, macht es Sinn, die Prozess-begleitung gleich bei HR anzusiedeln. Allerdings ist die HR-Landschaft bei den befragten Unternehmen sehr heterogen entwickelt. Es kann festgestellt werden, dass die IT/Telco-Unternehmen, die stärker von Dynamik betroffen sind, in ihre HR-Kompetenzen mehr investieren, als die nicht-IT/Telco-Unternehmen.

Fazit

Agilität als Organisationsprinzip findet kaum Anwendung. Der selektive Einsatz von erfolgsversprechenden agilen Elementen in Kombination mit Verbesserungen der Softfacts ist die meistens angewendete Form der Weiterentwicklung in den befragten Unternehmen. Allerdings reicht es nicht aus, nur ein Team mit agilen Elementen auszustatten. Wie die Erhebung gezeigt hat, kommt es auf das jeweilige Zusammenspiel des Betriebssystems und des Gesamt-Organisationskonzeptes an. Häufig ergeben sich bei differenzierter Betrachtung Unterschiede bei den Unternehmen. Die Dynamik des Umfeldes gibt den Takt für Veränderungen, die Auswahl der Konzepte und die Intensität vor. Das duale Betriebssystem[2] scheint die richtige Antwort für die meisten Unternehmen im Mittelstand zu sein. Unternehmen brauchen beides: ein effizientes, stabiles Standardgeschäft und die Fähigkeit, auf Chancen und Risiken flexibel zu reagieren.

[1] Die 6 Dimensionen des angewandten Organisationsmodells sind: 1. Strategie, 2. Design&Struktur, 3. Prozesse&Tools, 4. Führung&Kultur, 5. Mitarbeiter und 6. Kompetenzen.

[2] Vgl. J. Kotter 2016

Der vorliegende Kurzbericht erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Repräsentativität. Die dargestellten Themen sollen eher einen Beitrag zur Diskussion und damit eine Orientierung im Sinne einer Vorstudie für mögliche vertiefende Forschungsfragen liefern. Die Gesamtauswertung mit ausführlicher Darstellung der befragten Aspekte kann per Mail angefordert werden: mail@roffmann-consulting.de

Die Autoren: Jörg Roffmann und Dr. Olaf Bagdahn